Ästhetik im Arbeitsalltag

Warum Ordnung Befriedigung bringt.

Text: Götz Paschen

Sie kennen diese Genies: Der Schreibtisch läuft über. Alles türmt sich. Trotzdem ist die Leistung genial. Und dazu die blöden Allgemeinplätze: Wer auch immer jemals welches Chaos beherrscht hat. Kann ja sein, dass die Fokussierung da ist und das Ergebnis gut. Aber was ist das für eine selbstgewählte Umgebungsästhetik? Mangelt es da an Selbstwertschätzung? Mich fragte letztens ein älterer Herr mit einem Blick quer über die Seeliegewiese mit ihrer punktuellen Mülldekoration am frühen Morgen: ‚Können die Menschen es nicht aushalten, wenn es schön ist?‘ Sie können ja schlecht jedem Mitarbeiter, der seine Werkbank nicht aufräumt eine Psychotherapie bezahlen. Gucken Sie mal rein, in so einen Handwerkerbulli. Da können Sie Charakterzüge ablesen, ohne mit dem Menschen zu sprechen. Das Friseurinnenwägelchen, der Packplatz, die Küche … egal wo Sie hinschauen. Die Arbeitsplätze geben Aufschluss über ihre Nutzer: Zeckmäßig, plüschig, notizzettelüberfrachtet …

Vorgaben
Die Frage lautet: Wie weit sind Erwachsene noch wandelbar? Geben Arbeitgeber einfach auf, und jeder müllt so viel rum, wie er mag? Hauptsache der Kunde ist zufrieden. Wenn der Rubel rollt, ist doch alles schick. Oder quält man sich damit rum, die Mitarbeiter immer wieder zur Räson zu rufen. Das fängt schon da an, wo der fleißige Handwerker vorne vor der Windschutzscheibe so viel Papier liegen hat, was im Büro fehlt: Lieferscheine, Stundenzettel, abrechnungsrelevante Notizen … eine wahre Freude! – Ich gucke einem Apotheker (dem Inhaber) zu, wie er sich auf einem Beipackzettel etwas durchliest. Den faltet er nachher in seine Ursprungsfalten zusammen und packt das Fläschchen rein. Dann erst schiebt er beides wieder gemeinsam in den Karton. Das sieht pedantisch aus, funktioniert aber vortrefflich. Ich schob bisher immer erst den Zettel gefaltet rein und dann das Fläschchen hinterher oder obendrauf. Dann knüddelt man mit der Zeit den Zettel zusammen und das Fläschchen passt nicht mehr. Man ärgert sich nur ein bisschen, weil‘s ja unwichtig ist. Und da sind wir bei Alltags- und Arbeitsästhetik. Ich mache das jetzt auch immer so wie er. Das funktioniert. Wenn etwas funktioniert, ist das eine minimale und banale Form der Genugtuung und mindert Alltagsfrustration.

Lust
Ob ich zu Ordnung immer Lust habe? Gar keine! Überhaupt nicht! Ich könnte permanent überall alles in die Ecke pfeffern. Geht doch viel schneller. Disziplin abbauen. Versaut einem doch die ganze Spontaneität. – Umgekehrt aber auch. Wer Kram sucht, ist auch nicht spontan. Ich suche selten bis nie: Immer alles zur Hand in Sekundenschnelle. Hat was. – Klar ist das spießig. Aber wenn suchen freigeistig ist, bin ich lieber spießig und habe meinen Geist frei für Inhalte. Anstatt mich mehrmals täglich auf das Umrühren und Durchwühlen meines Arbeitsplatzes zu konzentrieren. Der Kram winkt einem ja auch regelmäßig zu und ruft ‚Räum mich weg!‘ Ein Schreibtisch voll Gewinke. Heillose Querschüsse in den klaren Gedanken, den man gerade entwickeln will. – Nur die Aufgabe, das Werkzeug und ich. Ein harmonischer Arbeitsdreiklang für alle, die verstehen, was ich meine.

Nochmal Lust
Das gilt ja nicht nur für die Arbeit. Man kommt von einem sonnigen Wettkampfwochenende mit Übernachtung sonntags spät um zehn mit dem Zug nach Hause. Rucksack voll, Schwimmzeug nass im Sack und morgen wieder normal an die Arbeit. Tja, dann hänge ich nicht nur die nasse Badehose auf … – Ne, ich räume den ganzen Krempel weg: Dreckswäsche, gebrauchte Zugkarten, Taschen, Reisebesteck, Burschis Schüppe und Püppis Deckchen … Ob ich da Lust zu habe? Garantiert nicht, ne gar nicht! Könnte man auch Montagabend machen. Dann fehlt einem spätestens in zehn Minuten die Zahnbürste. Morgens im Büro der Kalender … Bei mir ist Ordnung 1.) Notwehr und 2.) Alltagsästhetik. Das sind zwei gute Gründe, finde ich. Mein Vorteil ist die Routine. Die verhindert die Lustfrage. Wer sich die stellt, führt Dialoge mit seinem Schweinehund. Die schenke ich mir.

Torftipp: Gewohnheiten gelegentlich überprüfen.