20 Jahre Torfkurier, der Film






Lesen

Teilzeitfreunde im Dialog.

Von Götz Paschen

Ein Buch ist – wenn es Ihnen gefällt – die Einladung eines guten Freundes zum gemeinsamen Gespräch oder zum Erzählen und Zuhören. Einer, der auf Ihrer Wellenlänge ist. Schön sind Gespräche beim Spaziergang, am Küchentisch oder sonst wo. Aber ergänzend inspirieren Dialoge mit niveauvollen Autoren. Sie bieten im Lesedialog eklatante Vorteile: Was sie sagen, ist nicht dahingerotzt. Sie nehmen es einem nicht übel, wenn man nur fünf Minuten Zeit hat. Genauso sind sie aber bereit, mit Ihnen das ganze Wochenende zu verbringen. Kommen sogar mit aufs Klo oder in die Badewanne. Sie wollen unterhaltsam sein (Belletristik) oder sind im Fachgebiet gut informiert (Sachbuch). Sie haben tagsüber immer Zeit, aber auch nachts. Sie können sie schlecht behandeln, offen auf den Bauch legen und Kaffeeflecken drauf machen. Das stört sie nicht. Sie können sie aber auch hübsch alphabetisch oder thematisch sortiert im Regal als Wandschmuck verwenden.

Lust und Droge
Lesen ist gesund. Es beruhigt die Nerven. Selbst als Droge ist es eine Form der Wirklichkeitsflucht, die keine zusätzlichen körperlichen Begleiterscheinungen hat. Also nur Realitätsverlust ohne Delirium und Lungenkrebs. Wobei auch hier die Frage ist: Wie komme ich an guten Stoff? Haben Sie einen Lesementoren (gehabt)? Das sind diejenigen, die einem das Lesen beigebracht haben. Nicht die Grundschullehrerin. Oft einer von beiden Eltern, gute Freunde, ein ambitionierter Bibliothekar, eine Buchhändlerin …, die einen immer wieder mit passenden Empfehlungen auf den Pfad der Leselust geführt haben. Hobby, Lustzone! Für Schüler ist Lesen Musszone. Da gehört es nicht hin. Und spätestens nach der vollständigen Interpretation ist der ‚Homo faber‘, sind ‚Biedermann und die Brandstifter‘ von Max Frisch nur noch eine Heulnummer, aber kein Genuss mehr.

Der Autor
Ja, ich lese eher Männer, also der Autor: Meist liest man von einem guten Autoren immer wieder Bücher. Sie stehen schlendernd in Ihrer Urlaubsbuchhandlung, den Saft und das Obst schon im Rucksack. Da steht Uwe Timm im Regal. Also nicht leibhaftig. Den nehmen Sie mit. Weil Nordseestrand großartig ist, aber Nordseestrand mit Buch noch großartiger. Und ein guter Freund wird nie langweilig, auch nicht nach dem fünften Roman. Ganz anders bei Martin Suter, der sehr erfolgreich Geschichten erzählt, aber irgendwie immer die gleichen. So wie es sinnvoll ist, sich nach 20 Uhr als Paar zu verbieten, über Arbeit und Kinder zu reden. Damit die Alltagsverblödung nicht das gesamte Bewusstsein überschwemmt. - Bücher sind wilde Ausflüge in ungeahnte Höhen und Tiefen: Von Mord und Totschlage bis zu humanistischer Philosophie ist zwischen zwei Buchdeckeln alles zu haben. Und nach dem Wüten haben Sie im Gegensatz zum Film nur Ihre eigenen Bilder im Kopf und nicht die Blutgier des Regisseurs.

Irritation
Gute Freunde und Bücher sind zuständig für Bestätigung und Irritation. Bestätigung für die Sicherheit und Irritation für die Bewegung. In diesem Wechselspiel findet dynamisches Leben statt. Sie nehmen Sie mit auf ihren gedanklichen Ausflügen. Und sie geben Empfindungen und Situationen, die Sie so auch kennen, durch Benennung ein Gesicht. Das hilft, sie einzuordnen. Ein Vorteil ist auch, dass Sie mit jedem Autoren/jeder Autorin ins Bett gehen können, ohne des Ehebruchs bezichtigt zu werden. Und das kariesträchtige Betthupferl wird ersetzt durch ein paar Seiten Lesegenuss. Wer liest liefert den Beweis, dass er jenseits von Erledigung und Alltag noch Leben übrig hat. Es ist Vertiefung, Abdriften und -tauchen. Weltflucht und -verbesserung. Und: Wo fangen neue Ideen an, wenn nicht in Gedanken?

Torftipp: Ulrich Plenzdorf: ‚kein runter, kein fern‘ oder ‚Legende vom Glück ohne Ende‘; Uwe Timm: ‚Morenga‘; Alfred Andersch: ‚Die Kirschen der Freiheit‘.