September


Regio Challenge konkret

Wie funktioniert der Spaß in der Praxis?

Text: Götz Paschen, Fotos: Götz Paschen und www.regio-challenge.de

„Wofür die Grundlagenforschung an der Uni: Wir wissen doch genug, um etwas zu ändern.“ Das meint Jenny Antons (46) aus Rotenburg. Sie kümmert sich in der Organisationsgruppe der Regio Challenge um die Flyer, Siebdruckgeschichten, Werbung … „Wofür Forschung, wenn sie keine Konsequenzen in der Realität hat?“ Diese Frage gehörte zu ihrem Unbehagen an der Leuphana-Universität in Lüneburg im Studium der Umweltwissenschaften. Später hat Antons eine Ausbildung als Staudengärtnerin drangehängt und arbeitet jetzt auch in diesem Beruf. Für die Regio Challenge braucht sie keine großartige Theoriebasis, obwohl es die gäbe. „Ich kann mit einem guten Leben für alle argumentieren. Es geht auch um Gerechtigkeit. Und darum die Lebensweise den eigenen Werten anzupassen.“

Der Anfang
„Ich habe Kathrin und Martin bei der Mahnwache zum Hambacher Forst kennengelernt. Da haben die davon erzählt. Seitdem treffen wir uns ab und zu.“ Kathrin Peters und ihr Lebensgefährte wohnen auf dem Hof Grafel in Rotenburg. Hier wurde die Regio Challenge erfunden. Die Treffen der Organisatoren finden nur in sehr großen Abständen und nicht fest statt. Antons macht Werbung zu den Regio Challenge-Veranstaltungen und versucht, Freunde und Kolleginnen zu motivieren. „Viele sind so mit sich selbst beschäftigt und mit ihren 1.000 Baustellen ... Die finden das ja alle toll und super, wenn du das ansprichst. Aber es kostet schon Zeit.“ Antons hat durch ihre Mitarbeit viel gewonnen, neue Leute kennen gelernt, auch viele Akteure von den Vereinen und natürlich Erzeuger. „Wenn man mehr Bezug zu den Herstellern hat, kann man beispielsweise den Grünkohl loben und schätzt die Nahrung mehr.“ Ein Lob wie ‚Der Fenchel war der Hammer.‘ bringt jeden Gemüsegärtner zum Strahlen. „Die Landwirte freuen sich, wenn jemand wertschätzt, was sie herstellen. Das ist so eine grundlegende und basale Arbeit, die die machen. Es ist auch schwere Arbeit und die Nerverei mit dem Wetter. Mir war Gemüseanbau zu hart und zu schlecht bezahlt. Die verdienen unter den Gärtnerinnen am wenigsten und haben schlecht geregelte Arbeitszeiten. Da ist eine Solawi eine Hilfe.“

Solawi
Antons ist Mitglied in einer ‚Solidarischen Landwirtschaft‘ (Solawi) in Schneverdingen. Man zahlt einen Monatsbeitrag und erhält dafür seinen Ernteanteil vom Erzeuger. Je nach Ernte mal mehr, mal weniger. Und der Erzeuger kann beruhigt produzieren und schlafen. Durch die Solawi war für sie die Regio Challenge nur teilweise eine Herausforderung. „Gemüsemäßig war ich schon mal regional versorgt. Das Depot ist gegenüber von meinem Haus in einem Lagerraum.“ Die Erzeuger beliefern dienstags mit ihrer Ernte mehrere Depots. Die Konsumenten holen ihre Anteile dort ab. Antons teilt sich mit einer Freundin einen vollen Familienanteil, hat die größere Hälfte und zahlt 70 Euro im Monat. „Normalerweise habe ich gut was im Korb. Im Winter ist die Lieferung zweiwöchentlich, also weniger und nicht mehr ganz so vielfältig.“ Immerhin noch Blumenkohl, Spinat, Mangold, Lauch, Weiß-, Rot-, Grün- und Spitzkohl, rote Bete, Kürbis … „Im Sommer gibt es mehr. Da kann man auch mal was einkochen, wenn man Bock hat.“ Im Sommer kommen Auberginen, Salate, Paprika, Tomaten … „Ich habe Glück. Ich mag einfach alles an Gemüse. Das macht es einem leicht.“

Eichhörnchen
Regio Challenge-Teilnehmer entwickeln ein Eichhörnchengen, damit sie in der Woche nicht verzichten müssen. Kreativität und Ideen sind gefragt. Die Gärtnerin sammelt Linden- und Holunderblüten für Tees und trocknet sie im Sommer. „Früher bin ich an Blaubeerplantagen einfach vorbeigefahren.“ Das ist heute vorbei. „Ich esse natürlich jetzt auch schon vor der Challenge tierisch viele Blaubeeren. Seit ich viel mehr Beerenobst esse, das es hier gibt, kaufe ich weniger Pfirsiche und Melonen von weiter weg auch außerhalb der Regio Challenge.“ Auf den Plantagen pflückt sie schon rechtzeitig vor der Woche Blaubeeren, Himbeeren, Stachel- und Johannisbeeren. „Die kannst du einfrieren oder auch einmachen.“ Alte Bauerntugenden kommen da bei einer völlig neuen Gruppe zum Tragen. Marmelade ist wegen des Zuckertransportes für die Regio Challenge nicht gut geeignet. Aber Blaubeeren können in der Woche in Buchweizenpfannkuchen gebacken werden. Die Akteurin kennt ein paar Buchweizenfelder in Riepe hinter Lauenbrück. Und Quinoa gibt es in Riepholm bei Visselhövede. „Das ist glutenfreies Pseudogetreide, das auch Eiweiß enthält – vom Nährwert der Hirse vergleichbar.“

Vegan
Auf ausgewogene Ernährung muss sie als Veganerin mit Ausnahmen schon achten. Bei der Regio Challenge geht es um Entdeckungen von Lebensmittelquellen vor Ort: Quinoa, Buchweizen … „Ich laufe anders durch die Gegend und gucke auch wo gibt es Hasel- und Walnüsse – ich weiß, wo ich welche sammeln kann.“ Haselnüsse stehen mitten in der Stadt. Die sammelt Antons mit einer Freundin. „Die Walnüsse stehen in Privatgärten, in die ich reindarf.“ Auf Eiweißversorgung müsse sie als Veganerin achten. Grundsätzlich hat sie aber in der Woche wenig Hülsenfrüchte zur Hand. Bohnen muss Antons rechtzeitig trocknen. Vorbereitung ist ihr Tipp. „Vor allem, wenn es beim Kochen schnell gehen muss. Oder auch etwas zum Snacken da zu haben. In der Zeit sind ja auch schon Äpfel reif.“ Dass die Woche im September liegt, ist kein Zufall. „Wäre die Woche im Januar, müsste man sich mit der Bevorratung richtig ranhalten.“

Kontakt
„Ich habe auch rumgefragt, ‚Wer hat Knoblauch im Garten?‘ Das ist das Schöne dran, man kommt ins Gespräch miteinander.“ Sie war scharf auf Knoblauch und hat ihn am letzten Tag der Regio Challenge auf dem Rotenburger Wochenmarkt gefunden. „Knoblauch aus Thedinghausen. Der war zwar konventionell, aber regional. Dann konnte ich Pesto machen. – Wir haben auch viel nach Getreide rumgefragt. Das hat mich erstaunt, dass wir nicht so viele Quellen für Getreide gefunden haben.“ Die Frage beim Rundumblick war: Was steht außer Mais und ab und zu Kartoffeln auf den Feldern? Eine Erkenntnis: In Horstedt wird auch Dinkel angebaut. „Der ist natürlich nicht Bio. Deswegen bin ich daran nur so halb interessiert.“

Radtouren
Ein Vergnügen sind auch die Radtouren zu den Erzeugern. 2019 zum Hof in Riepholm. Unterwegs Einladungen zur Birnenernte … „Wir haben an den Hofläden nachgefragt, was aus der Region kommt. Was erschreckend wenig ist.“ Auch dort wird das Sortiment mit Zukäufen aufgefüllt. Oder der Zucker bei selbstgemachter Marmelade entspricht nicht den Challenge-Kriterien. „Kommen bei selbstgemachten Nudeln alle Bestandteile von hier?“ Sie haben die Region durchstreift. Eine Radtour zur Ölmühle Godenstedt. „Die hatten zwar kein Öl aus Produkten aus der Gegend, aber bemühen sich um Rohstoffe aus Deutschland.“ Die Qualität muss auch passen bei den Saaten. „Das ist interessant, erzählt zu bekommen, warum Entscheidungen so fallen.“ Eiweiß- und Fettbedarf sind Veganerthemen. Deshalb ging es zur Ölmühle. Zum Eiweiß weiß Antons von Versuchen regionaler Landwirte mit Kichererbsen. Was problemlos zu kriegen sein sollte, ist regionales Fleisch. Da gibt es eine solide Zahl an Herstellern und Direktvermarktern. Und „zu Böhlings Käserei nach Borchel ging auch eine Radtour mit allen, die gerne Käse essen.“

Joker
Und weil bei aller Konsequenz der sportliche Ehrgeiz dem Spaß nicht im Wege stehen soll, gibt es für jeden Teilnehmer der Woche zwei Joker. „Einer geht bei mir für Kaffee drauf und einer für Hafermilch.“ In der näheren Auswahl war auch Öl zur Herstellung von Brotaufstrichen, zum Backen und Braten. 2021 sind ihre Joker dann Kaffee und deutsches Raps- oder Sonnenblumenöl. „Selbst beim Joker kaufe ich eher ein Öl aus Deutschland, wie sonst auch.“ Die Salzfrage haben sie für die Woche inzwischen gelöst. Das Salz kommt aus einem Salzstock in Soltau. „Da kann man Salz kaufen. Größere Mengen muss man bestellen. Kleine Mengen gibt es im Museumsshop.“ Ein Teilnehmer arbeitet in Soltau und hat es für alle mitgebracht. Erstaunlich ist für Antons das Erwachen vor dem eigenen Küchenschrank in der Woche und angesichts der eigenen Konsumgewohnheiten. „Dann sieht man, wo man steht: Was man nicht weiß. Was einem fehlt. Oder was man im Schrank lassen muss, in der Woche, weil es von ganz woanders kommt.“ Wer bei den Herstellungsorten und Inhaltsstoffen prüft, was wo herkommt, kommt oft nicht weit. „In der Woche merkt man erstmal, wie wenig man von den Fragen beantworten kann. Das gilt auch für Produkte aus dem Bioladen.“

Kreativität
Ist die Woche eine Einschränkung und Genussvermeidung? Oder wie nimmt sie die Herausforderung an? „Ich kenne das von der Umstellung auf vegan, dass man kreativ wird. Der Fokus liegt nicht auf dem Verzicht, sondern auf den Entdeckungen. Es geht darum, das zu feiern, was da ist. Das macht in der Gruppe mehr Spaß, als wenn man das alleine probiert.“ Das ist ein Tipp für alle, die mitmachen wollen. Der Austausch von Ideen und Rezepten, sich gegenseitig etwas mitzubringen … „Beim Abschlussbuffet will ich auch was Cooles präsentieren, etwas das was hermacht. Wir wollen die Vielfalt feiern von dem, was da ist. Es soll schön aussehen, mit vielen Farben … Es ist ein positiver Ansatz und Impuls in die Gesellschaft.“ Antons Ansicht nach gibt es ein Überangebot an Hiobsbotschaften in den Nachrichten. „Es wissen alle, dass sie was ändern müssen und warum.“ Es gehe darum auf eine positive spielerische Art und Weise an das Thema heranzugehen. Und dass man auch gut Kinder mit einbinden könne.

Konsumorte
Antons Solawi deckt den Frischbedarf. Dadurch geht sie nicht zum Wochenmarkt. Dann wandert sie noch in den örtlichen Biosupermarkt und in den Unverpacktladen. „Der hat auch Produkte vom Hartmannshof, vom Hof Grafel, Pilze von der Pilzfarm in Helvesiek. Das muss man wieder entdecken.“ Quinoa aus Riepholm werde zum Unverpacktladen nach Rotenburg mit dem Fahrrad geliefert. „Es tut sich was. Wenn jeder ein bisschen was macht, kommen schon Sachen zusammen. Das beflügelt.“ – Antons arbeitet Teilzeit und meint für Lebensmittel gehe ein Großteil ihres Geldes drauf. „Ich esse gerne gesund und lecker und viel verschiedenes. Das ist nicht so superteuer. Du könntest auch von Sozialhilfe leben und Bio essen. Das ist ein Sache der Priorität.“ Sie spart durch Second hand-Kleidung Geld, kauft sich nur alte Handys von anderen … „Meine Kostenpunkte sind das Auto und das Essen.“ – Die Aktionswoche ist für die Teilnehmer erhellend und motivierend. „Teilweise bleibe ich bei Produkten, die ich regional entdeckt habe. Aber ich finde es erschreckend, dass es nach der Woche auch wieder aus dem Blickfeld gerät. Trotzdem, es wird jedes Jahr etwas besser.“ Es gibt eine Landkarte, auf der regionale Erzeuger eingezeichnet sind. Die wird bei den Infoveranstaltungen aufgestellt. Der BUND Rotenburg plant auch einen regionalen Einkaufsführer online. Informationen sind da und werden bei den Veranstaltungen präsentiert. „Keiner aus dem Raum Rotenburg muss bei null anfangen.“

Transparenz
Die Regio Challenge hat für Antons auch etwas mit Emanzipation zu tun. Es geht darum, selber zu denken und mündige Entscheidungen zu treffen. „Die kann ich dann treffen, wenn ich Informationen habe. Wir schaffen in der Woche Transparenz. Ich weiß, wer mein Gemüse anbaut, kann denen in die Augen gucken und weiß, dass das klargeht. Das ist ein Teil meiner Motivation: Nicht Großkonzernen den Quatsch abzukaufen und denen das Feld zu überlassen.“ Sie will weg von einem undurchsichtigen Ernährungssystem und Klarheit.

Grundsätzliche Fragen
Wer baut meine Lebensmittel an?
Wie viel verdienen diese Personen?
Wem gehört das Land, auf dem mein Gemüse gewachsen ist?
Aus welchem Saatgut ist es gewachsen?
Gibt es ein Patent darauf?
Wie viel Chemie ist drin?
Wie weit ist mein Essen gereist? Wer transportiert es?
Wer verarbeitet und verkocht es? Wer verpackt es?
Wer lagert es?
Wie viel Leid und wie viel Freude stecken drin?

Politik
„Dass wir das gemeinsam umsetzen, ist das Coole dran. Über die Gründe brauchen wir nicht zu sprechen. Wir wollen darüber hinaus auch ins Gespräch kommen. Der positive Ansatz ist für mich ganz wichtig.“ Politische und praktische Veranstaltungen flankieren die Aktionswoche: Fahrradtouren zu Erzeugern, ein Filmabend, gemeinsames Brot backen, Informationsstände … Und warum der ganze Zinnober? Laut Antons sei eine wichtige Frage: „In welcher Landschaft will ich leben? Wir leben in einer Agrarlandschaft. Ich bin viel draußen. Ich will eine vielfältige, kleinflächige Biolandschaft – das ist dann auch gleichzeitig Artenschutz, und man fühlt sich wohler als in einer Maiswüste.“ Sie habe in Weertzen bei Zeven gewohnt. „Man konnte rechts und links nichts mehr sehen vor lauter Mais, und es stank oft nach Gülle.“

Küchenzeit
Bis zum 13. September will Antons noch herausfinden, wie sie an regionales Öl kommt. Und probieren, selber Dinkelmilch herzustellen. „Essig ist auch noch so ein ungelöstes Problem gewesen. Selber Apfelessig zu produzieren, wäre eine Lösung, ist aber Aufwand. – Es ist ja echt schon bald soweit!“ Wie bei vielen politischen Themen bringen viele den Anspruch und die Wirklichkeit sehr oft nicht deckungsgleich übereinander. „Diese Lücke kriegen wir nicht zu!“ Zeit ist der Faktor, der viele Leute von der Teilnahme abhält. „Den Aufwand schaffen viele nicht. Kolleginnen, die voll körperlich arbeiten und dann noch eine Familie haben. Da ist dann nachher nicht mehr viel. – Ich arbeite Teilzeit. Ich verzichte lieber auf das Geld und mache politisch etwas. Nach einem Fließbandschichtdienst in der Produktion machst du abends auch nicht noch die Regio Challenge. – Es hängt alles zusammen. Du musst dir den Freiraum nehmen, um deine Prioritäten durchzuziehen. Es ist auch eine Frage, wie gut man strukturiert ist. Gemeinsam einzukaufen, spart Zeit und ist eine Chance. Bei der Woche machen natürlich auch Leute mit, die Vollzeit arbeiten.“

Torftipp: 13. – 19.9. Regio Challenge. „Vorbeikommen, mitmachen, Erfahrungen zu teilen.“