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Dezember


DisTanz-Konzerte

Das KASCH Achim liefert Kultur – verordnungskonform.

Text: Götz Paschen
Fotos: Götz Paschen, Ina Huckfeldt, Dennis Meinken

Die Leute vom ‚Kulturhaus Alter Schützenhof e. V.‘, kurz KASCH, haben die Vorgaben der Verordnung lückenlos umgesetzt und mussten im November trotzdem das gesamte Programm streichen. „Das ist umso bitterer: Man macht sich Gedanken, investiert auch viel … Und dann steht man wieder da, weil geschlossen wird. Aber wir müssen immer darauf reagieren, was gefordert ist. – Zu sagen hier passiert gar nichts bei uns, finde ich auch falsch.“ Veranstaltungskaufmann Dennis Meinken (41) ist beim KASCH zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, Finanzen, Veranstaltungen, Technik … Er war hier der erste Azubi seiner Art. Die Programmgestalter vom KASCH gehen mit der Krise mit und liefern, was noch möglich ist. Und irgendetwas geht immer: Im November sind das gestreamte Konzerte im eigenen Haus ohne Publikum. Gestreamt? Gefilmte Konzertmitschnitte ohne Publikum für das Internet.

Säle
Sie haben hier 1.000 Quadratmeter Räumlichkeiten in sechs Räumen und zwei Sälen. Rund 400 Quadratmeter hat der große Saal mit 280 Sitzplätzen. Neuerdings mit Ein- und Ausgang bei zwei Saaltüren. Je nach Veranstaltung angepasst mit Einbahnstraßen und Foyerbarrieren zur Besuchersteuerung. Im Sommer ging es direkt über den Saalausgang zum Parkhaus raus. Die Bestuhlung wurde dezimiert und reicht noch für rund 80 Personen. Das ist abhängig davon, wie viele zusammenhängende Plätze gebucht sind. Bei 2er-Plätzen 80. Bei 4er- oder 6er-Plätzen bei gemeinsamer Meldung auch ein paar mehr. „Es durften ja bis zu 10 Personen aus verschiedenen Haushalten zusammen sitzen. In der Regel gehen Paare oder zwei Pärchen los.“ Den blauen Saal im ersten Stock hatten sie von 130 auf 40 Gäste reduziert.

Distanz
Bei der Konzertbestuhlung haben die Mitarbeiter die Stuhlgruppen mit dem Zollstock auf 1 Meter 50 in alle Richtung vermessen. „Zollstock hinlegen und neuen Stuhl stellen. Ein Meter hätte laut Verordnung gereicht bei sitzendem Publikum. Das wurde mal nachgebessert.“ Plexiglas ziert hier alle Tresen: Beim Einlass, beim Kartenverkauf, am Getränketresen und in der Gastro am Tresen. Das Infobüro am Eingang ist rundherum voll verglast. „Da haben wir vor zehn Jahren schon gedacht, dass Corona kommt.“ Meinken nimmt die Situation mit Humor. Was bleibt ihm übrig? Die Regierungsentscheidung Ende Oktober hat ihm das komplette Programm zersägt und zusätzlich Arbeit mit Förderanträgen beschert. – Im Hammeforum in Ritterhude gab es im Spätsommer auch zwei Konzertauftritte eines Künstlers hintereinander am selben Tag, um alle Karten unterzubringen. War das hier auch nötig? „Die 80 Plätze reichten meist aus. Da war nicht viel drüber. Wir haben keine 100 Leute abweisen müssen.“ Der Verkauf war schwächer als sonst. Manche Besucher haben Angst oder sind zögerlich. Die, die da waren meinten: ‚Super! Tolles Konzept. Wir fühlen uns hier sicher. ‘

Luft und Möbel
Die Belüftung beider Säle funktioniert mit 100 % Außenluft. „Das ist energetisch nicht ganz so gut. Da musst du im Winter mehr heizen. Aber bei 80 Leuten im Saal merkst du: Die Luft ist hier wirklich gut.“ Im KASCH hatten sie die Pissoirs abgeklebt, jede zwei Toilette abgeschlossen, aus der Gastro Tische rausgenommen … und eine Menge Arbeit, Geld und Hirnschmalz in Corona-konformes Veranstalten investiert. Für Meinken ist die wiederholte Schließung des Kulturbetriebes sachlich nicht nachvollziehbar. „Bei 75 % der Fälle wussten sie nicht wo die Übertragungen herkommen. Natürlich werden auch in unserer Branche Übertragungen stattfinden, aber nicht unverhältnismäßig viele. Hier artet ja nichts aus. Alle halten sich an die Regeln.“

Restaurant
Das KASCH hat eine eigene Gastronomie. Wie sah es da vor November aus? „Null, dadurch dass die privaten Feste nicht stattfanden. Wir hatten eine Beerdigung mit 50 Leuten. Die anderen Feiern sind abgesagt worden. Da war sonst nicht eine.“ Große Privatfeiern sind die Termine, die der Gastro hier das Geld bringen. Normalerweise sind das mindestens zwei im Monat. „Die haben für die Gastronomie die Umsätze eingespielt.“ Die Veranstaltungen sind da nicht so stark. „Die Veranstaltungsgastro ist auch bei null. Bei 80 Leuten deckt es ohnehin nur die Kosten des Abends.“ Was läuft, ist der Außerhausverkauf. „Damit unsere Gastro den Leuten im Gedächtnis bleibt.“ ‚Gegessen wird zu Hause‘ heißt der Spruch am Eingang. Hier gibt es Suppenportionen zum Mitnehmen, die auch im November zu den Bürozeiten angeboten werden. „Ich verkaufe nebenbei tiefgefrorene Suppen vakuumiert. – Man muss sich was einfallen lassen.“

Anträge
Wenn die Umsätze fehlen, muss Meinken Gelder beantragen. „Wir müssen relativ kurzfristig reagieren.“ Manchmal kann man beispielsweise ab einem Freitag Anträge stellen, und der Zuschlag erfolge nach dem Windhundprinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. „Dazu gehören Angebote einzuholen für die Kosten, Auflistungen für den Verwendungsnachweis ... Das ist wirklich sportlich.“ Ab dem Stichtag können die Formulare dann online ausgefüllt werden. „Freitagnachmittag bist du dann nach kompletter Meldung der Antrag mit der Bearbeitungsnummer 530. Bei zehn Millionen Euro Gesamtvolumen und Minimumzuschuss von 10.000 Euro bist du mit der Nummer dann nur knapp dabei.“ Oft werden die Töpfe nachträglich noch aufgestockt. Grundsätzlich muss das KASCH als gemeinnütziger Verein über das gesamte Jahr gesehen eine gesunde Null abliefern. Defizitäre Konzerte müssen mit sehr guten Veranstaltungen ausgeglichen werden. Gebremste Coronakultur war schon teuer. Aber die Novemberschließung geht jetzt richtig ins Geld. „Für die Fixkosten bei geschlossenem Haus reicht der städtische Zuschuss nicht aus. Aber immerhin haben wir ihn. Wenn man andere Häuser sieht …“ Meinken ist der, der hier nach dem Geld guckt. „Für uns Kulturvereine und –unternehmen gibt es gute Programme, an Geld zu kommen.“ Auch Investitionszuschüsse für zum Beispiel die Ausstattung kompletter Homeofficearbeitsplätze, bei 10 % Eigenanteil. Homeofficearbeitsplätze? „Wir arbeiten mit sechs Leuten im Wechselsystem: drei da, drei zu Hause. Man muss beispielsweise bei den Anträgen schnell reagieren können. Dafür brauchst du den Arbeitsplatz.“ Es gab auch Mittel für die Coronaausstattung: Plexiglas, Desinfektionsmittel … Wer nicht vernetzt ist und keine gute Beratung hat, steht beim Geld allerdings auf dem Schlauch. „Wir sind Mitglied im Landesverband Soziokultur. Die liefern viele Informationen.“ Die Landesverbände sind oft auch die Stellen, zu denen die Anträge gehen. Der Bundesverband Soziokultur sorgt für die Überwachung der Anträge und Mittel und ist der verlängerte Arm des Kultusministeriums. ^

Praxisfern
Beim KASCH haben sie aktuell einen starken Kontakt zum Steuerberater. Den Antrag für die Überbrückungshilfe beim Bund muss der Steuerberater stellen. Hier geht das, aber wie ist es bei Solokünstlern? „Jetzt muss du dir als Soloselbstständiger teuer einen Steuerberater holen, damit du die Hilfe bekommst. Damit du das beantragen kannst, macht er vorab einen kompletten Jahresabschluss. Der kostet dich 4.000 Euro. Wer hat denn die? – Es sollte unbürokratisch vonstattengehen. Das haben sie nicht geschafft.“ Das Novembergeld bei kompletter Schließung berücksichtigt für den Ersatzumsatz den Vorjahresnovember. Nachdem Helge Schneider die Regierung deswegen auf Facebook verulkt hatte, wurde das nachgebessert mit ‚oder Durchschnittsmonat 2019‘. Ups, da ist was schief gelaufen. „Was passiert mit den Neugründungen aus 2020? Was mit Saisonbetrieben? – Was ist das für ein Finanzminister?“

Konzertvideos
‚Mellow melange‘ kam auf der Jubiläumstour im November trotzdem ins KASCH. Zum Konzerttermin gab es den Mitschnitt per Video. „Nicht im Livestream, sondern aufgenommenes, was zum Konzertzeitpunkt als Video-premiere gezeigt wurde. Unser Auszubildender Luca Tietje ist bei Streaming gut informiert.“ Mit im Rennen ist der Haustontechniker. „Die Technik für Videostreaming bei Onlinekonzerten hatten wir anfangs geliehen und haben sie jetzt selber angeschafft.“ Mit Streaming-Fördermitteln. – Die Videoerfindung hieß ‚KASCH-TV‘. Das lieferte während der ersten Schließung wiederholt „drei Acts an einem Abend, jeder eine halbe Stunde. Und in der Umbaupause im Backstagebereich ein Interview vorab mit der nächsten Gruppe.“ Weil Luca Tietje sich mit Spielen gut auskennt, haben sie auch schon über ‚Twitch.tv‘ KASCH-Konzerte ausgestrahlt. „Das ist eigentlich eine Gamingplattform für Livestreams. Dort haben wir dann auch Kultur gezeigt. Das war dann im Ranking sehr hoch, weil da so wenig Kultur lief.“ Leute aus Holland und von den Philippinen sind zufällig drauf geraten und haben mitgechattet: ‚Good music from Germany.‘ Von Mai bis August haben sie sechs bis siebenmal KASCH-TV durchgeführt. Zum Konzerttermin und zum Nachgucken als Zusammenschnitt auf YouTube. Das Konzert von Andreas Kümmert am 27.11. wird als Pay-Livestream gezeigt für acht Euro zu Hause am Bildschirm. Die Konzertkarten für den Abend werden erstattet, und man kauft eine Streamingkarte. Eine Verrechnung ist nicht möglich.

Gesundheitsamt
Nordrheinwestfalen hatte bei der ersten Schließung in der Verordnung erst Onlinekonzerte verboten. „Weil die Abstandsregeln bei den Musikern nicht passen. Das haben sie aber ganz schnell wieder gekippt.“ Wir bewegen uns schließlich bei Profis im Bereich ‚Arbeit‘. Glücklicherweise ist Meinken bei seinem Gesundheitsamt auf fundierte Kompetenz gestoßen. „Die beim Gesundheitsamt sind sehr gut informiert auch für die Open Air-Veranstaltung draußen. Manchmal musste man am Telefon warten. Man kam ja nicht immer durch.“ Was im Dezember wird, kann auch dort heute noch keiner sagen: Geht es dann wieder mit neuen Bestimmungen los? „Wer weiß, ob das alte Konzept dann noch funktioniert, oder ob wir es anpassen müssen?“

‚Kohorte‘
„Im Dezember war Kinderweihnachtstheater im blauen Saal für Kindergärten und Schulen geplant. Normal hätten nur 40 Leute rein gedurft. Aber in dem Fall hätte sogar eine ‚Kohorte‘ kommen können. Also alle aus dem fünften Jahrgang, der als Kohorte gilt. Das heißt, so viele wie reinpassen.“ Das Weihnachtstheater ist immer sehr beliebt. Die Veranstaltungen waren so gut wie ausverkauft. „Nach Stand jetzt, dürfen sie stattfinden, weil ja nur bis 30. November alles abgesagt ist.“ Aber viele Schulen sind schon wieder im Szenario B mit Wechselunterricht. Eine Klassenhälfte MoMiFr, eine DiDo, Folgewoche umgekehrt. Sobald an der Schule ein Fall auftritt, werden die Klassen halbiert. „Ich glaube, es rechnet auch wirklich keiner mehr damit, dass im Dezember etwas stattfindet. Außer der Druck auf die Politik wird zu groß.“ – Bei den Buchungen ist aktuell tote Hose. „Unser Vorverkauf bietet Veranstaltungen bis März. Aber es kauft zur Zeit keiner Tickets. Bis auf einzelne Fans.“ Im Dezember kommt ‚Stoppock‘. Da kaufen sich die Eingefleischten Karten und können sie nachher zurückgeben oder an der Verlegung teilnehmen. Viele Veranstaltungen aus März 2020 wurden um ein Jahr verschoben. „Wir haben gedacht, das passt locker – das haben alle gedacht, auch die Großveranstalter – aber selbst das sehe ich noch nicht, dass wir im März mit 17.000 Leuten im Bremer AWD-Dom stehen dürfen.“

Gagen
Meinken hat auch schon einen Antrag gestellt auf Gagenförderung für Veranstaltungen. „Wenn wir sie unter Coronabedingungen stattfinden lassen bei Festgagen, können wir die mit 80 zahlenden Gästen nicht auffangen. Die funktionieren je nach Gage nur mit 150 oder 200 Gästen. So hoffen wir, die Künstler voll zahlen zu können.“ Bei höherer Gewalt, also Absage aufgrund der Coronaverordnung, gibt es keine Ausfallgage und jede Partei bleibt auf ihren Vorlaufkosten sitzen. So ist das rechtlich. „Wir hatten oft einen prozentualen Deal 70 : 30. Bei 80 Gästen und 70 Prozent für den Künstler ist das besser als gar nichts.“ An den Preisen der Platzkarten hat sich durch die verringerte Bestuhlung nichts geändert. Bei 70 : 30 allerdings an den Gagen der Künstler und der Kostendeckung fürs KASCH. „70 Prozent von 80 Karten oder von 280 Karten sind schon weniger Gage. Das ist ganz klar. Die Künstler treten trotzdem an.“ Es geht auch ums Geld, aber nicht nur. „Wir und die Künstler sind verantwortlich, den Besuchern etwas zu bieten. Die Leute brauchen Kultur. Im November ist es früh dunkel, regnet oft ... Das geht aufs Gemüt. Auf Leute, die mit Depressionen zu Hause sitzen, musst du jetzt gut aufpassen. Wir haben auch Kulturgänger, die jetzt nur noch alleine zu Hause in ihrer Bude sitzen.“ Wie sieht es aus mit Vorschussgage für verlegte Termine in 2021 zur Unterstützung der Künstler? „Das haben wir nicht gemacht. Das haben wir auch nicht über.“

Systemrelevanz
Ist Kultur systemrelevant? „Natürlich, sonst wäre die Regierung nicht auf die Idee gekommen, den Lockdown im November auch für uns mit Hilfen auszustatten. Das ist der erste Schritt.“ Viele Veranstaltungsfirmen auch die örtlichen hätten bei der ersten Runde quasi bei null Aufträgen immer noch nichts bekommen. „Die Novemberüberbrückung greift auch für viele nicht. Leider werden Kunst und Kultur nicht so beachtet wie andere Bereiche.“ Gibt es eine Alternative zur Schließung? „Man hätte die Kultur weiterlaufen lassen sollen zu den Bedingungen wie seit September. Klar, man muss irgendwo anfangen. Aber es stimmt im Verhältnis nicht.“ Meinken spricht von Einkaufsmeilen, die im November rappelvoll sind. „Die Leute dicht an dicht, teils ohne Maske. Da denkst du, das passt doch nicht.“ Die Leute haben nichts zu tun: ‚Na gut, dann gehen wir mal shoppen.‘ „Und wir dürfen hier nicht mit 80 Leuten mit Abstand Veranstaltungen durchführen. Ich weiß nicht …“ Meinken zieht auch privat gerne los und hatte für 2020 sieben Konzerte auf dem Plan und Karten gekauft: „Madsen, Iron Maiden, Nada Surf, Deichbrand, Hurricane …“ Nix Beruf, privat aus Spaß. – Alle ausgefallen!

Torftipp. 1) „Das wenige, was wir anbieten, auch nutzen per Stream. Es ist nicht dasselbe, aber was Schönes aus dem KASCH, wenn man sich uns verbunden fühlt.“ 2) www.KASCH-achim.de > Veranstaltungen > KASCH-TV; 3) Spenden: KASCH e. V., Konto: IBAN 49 2915 2670 0011 0009 73, „Die Adressdaten können in den Verwendungszweck. Bis 200 Euro reicht der Kontoauszug als Nachweis.“